Am Erlebnis führt kein Weg vorbei
Gedanken über die Verbreiterung der Tiefgarageneinfahrt
Bei einem unserer Kunden war es üblich, dass die Geschäftsleitung ihre Wagen auf
den privilegierten Parkplätzen vor dem Haupteingang der Firma parkte. Für die
Belegschaft gab es Parkplätze in der Tiefgarage. Seit Jahren wurde von den in der
Tiefgarage Parkenden bemängelt, dass die Einfahrt in die Tiefgarage zu schmal sei
und ein umständliches Manövrieren nötig mache. Dies verhallte bei der
Geschäftsleitung vielleicht nicht ungehört, aber jedenfalls änderte sich nichts an der
Situation.
Vor eineinhalb Jahren hat sich nun diese Firma auf den Weg gemacht, ihre
Unternehmenskultur zu verändern: weg vom «Command and Control» einer streng
hierarchischen Denkhaltung und Praxis, hin zu einer Kultur der Partnerschaft auf
Augenhöhe und der Selbstorganisation in Kreisen. Im Zuge dieser Transformation
verzichtete die Geschäftsleitung vor drei Monaten auf die privilegierten Parkplätze vor
dem Haus und parkt jetzt auch in der Tiefgarage. Und siehe da, es geschehen noch
Zeichen und Wunder: Bauarbeiter wurden gerufen, und die Einfahrt der Tiefgarage ist
heute so breit, dass alle ohne umständliches Manövrieren hineinfahren können...
Und was lernen wir von der Geschichte?
1. Am Erlebnis führt kein Weg vorbei. Die eigene Erfahrung ist nicht ersetzbar -
schon gar nicht durch eine Einwirkung auf den übersch.tzten Verstand.
2. Eine Verhaltens- und Kulturveränderung lässt sich über konventionelle
Schulungen nur schwer erreichen. Um neue Autobahnen im Gehirn zu bilden,
braucht es neue Erfahrungen und Erlebnisse.
3. Die Geschäftsleitung versteht die Sorgen der Belegschaft erst, wenn sie sie
erlebt. Dies bedeutet, dass Führungspersonen mindestens einmal im Jahr
einen vollen Tag die Arbeit der Belegschaft ausführen – sei es am Computer
des Verkaufsinnendienstes, an der Maschine in der Produktion oder am
Empfang. Die Südostbayernbahn (SOB) ist ein solches Vorbild, zu sehen in der
Kurzversion des Films «Musterbrecher» (ab 09.30 Minuten):
https://www.youtube.com/watch?v=RRL24bVPnfE
4. Was für die Geschäftsleitung und die Führungspersonen gilt, gilt auch für die
Abteilungen: Innendienstleute arbeiten tageweise im Aussendienst, Entwickler
in der Produktion, die Buchhalterin im Einkauf - und umgekehrt.
5. Dies ist kein «Aufwand» oder «Zeitverlust», es ist eine Investition in eine Kultur
des Vertrauens.
Juli 2018, Peter Wyss